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Wir gießen, was die Kunden brauchen

Lärm, Hitze, graue Fabrikhallen, Knochenarbeit: Manches Klischeebild zwischen Tolkiens „Herr der Ringe“ und Wallraffs „Ganz unten“ mag sich im Kopf auftun, wenn man sich eine Metallgießerei vorzustellen versucht.

22.09.2025
Autor: BIS Wirtschaftsförderung Bremerhaven

Wenn sich die Adresse dann auch noch am Grauwallring befindet, schaltet die Fantasie womöglich direkt in Schwarzweiß-Darstellung um. Dass bei Raguse & Voss alles etwas anders ist, bemerkt der Besucher schon beim Betreten des Firmengeländes. Viel Grün ist entlang der Werkshallen und drumherum zu sehen. Von Rohrleitungen, die zwischen Gebäuden verlaufen, hängen Rankpflanzen herab. Alte Gießschalen sind allenthalben zu Pflanztöpfen umfunktioniert worden, aus denen Blumen und Grünpflanzen sprießen. Die Szenerie wirkt ein wenig wie ein kleiner verwunschener Zaubergarten, durch den ab und an ein Gabelstapler fährt. „Ursprünglich war hier alles kahl“, sagt Ole Kuthning. „Die Idee zur Bepflanzung hatte mein Großvater. Meine Mutter und ihre beiden Schwestern haben daraufhin das allermeiste hier angelegt.“

Von Töpfen und Pfannen zum Schiffbau-Spezialisten

Ole Kuthning ist Prokurist gehört zur vierten Generation des rund 50 Mitarbeiter starken Familienunternehmens, das 1946 von Wilhelm Raguse gegründet wurde. „Er produzierte damals Töpfe und Pfannen für die Bauern der Umgebung, was so kurz nach dem Kriege eben gebraucht wurde, gegen Nahrungsmittel als Bezahlung“, erzählt Kuthning. „Die erste Produktionshalle stand noch direkt hinter seinem Haus im Schierholzgebiet.“

Ende der 1970er Jahre zog das Unternehmen in das damals noch unerschlossene Industriegebiet am Grauwallring. Schwerpunkt der Produktion war inzwischen der Schiffbau. Im Jahr 2010 konnte für die perspektivische Entwicklung des Unternehmens ein rund 10.000 qm großes Grundstück von der BIS Wirtschaftsförderung Bremerhaven erworben werden. Im Schiffbau kann Raguse & Voss seine besondere Stärke ausspielen. „Bei einem defekten Schiff kostet jeder Tag Liegezeit viel Geld“, sagt Ole Kuthning. „Und Schnelligkeit hat uns schon immer ausgezeichnet. Laut Feedback von unseren Kunden sind wir heute schneller als der Branchendurchschnitt.“ 

Flexibilität als Stärke: Einzelanfertigung statt Masse

Das liegt unter anderem in einer weiteren Besonderheit des Unternehmens begründet: „Normalerweise fertigen Gießereien viel in Massen, vor allem für den Automotive-Bereich“, erklärt Kuthning. „Da sind wir gar nicht tätig. In der momentanen Situation der Autoindustrie, kann man wohl sagen, zum Glück nicht. Wir machen Einzelanfertigungen, Prototypen und Kleinserien bis zu 100 oder 200 Stück. Wir gießen nur, was die Kunden brauchen.“ Die Palette reicht dabei von kleinen M8 Schrauben mit Zinkummantelung bis zum 1000 Kilogramm schweren Filtergehäuse für Seewasserfilter. Im Gegensatz zu einer Massenproduktion, die oft langwierig aufgebaut werden muss, hat Raguse & Voss geringen Vorlauf und damit schnellere Produktions- sowie Reaktionszeiten. Das einzige Produkt, das Raguse & Voss gewissermaßen in Serie herstellt, sind Opferanoden für den Korrosionsschutz. „Die kann jedes Schiff unmittelbar mal gebrauchen“, sagt Kuthning. „Deshalb haben wir davon immer welche auf Lager.“

Knapp 80 Jahre Firmengeschichte verlaufen naturgemäß nicht ohne wirtschaftliche Herausforderungen. Die größte war zweifellos die Werftenkrise in den 1980er Jahren, die auch auf Raguse & Voss als Zulieferer durchschlug. Die Krise hat das Unternehmen überstanden und sich seither mit einem breiter gestreuten Kundenstamm und internen Schutzmechanismen gegen spätere Krisenszenarien gewappnet. Mit Erfolg: „Corona hat sich 2020 zwar auch bei uns bemerkbar gemacht, aber wir konnten die Phase ohne Kurzarbeit oder Fremdgeld überstehen“, sagt Finn Raguse, Sohn von Geschäftsführer Wilhelm Raguse und ebenfalls Prokurist . „Auch die Lieferketten funktionierten. Wir hatten auch dann immer Material, wenn andere Probleme bekamen.“ Internationale Probleme wie die aktuellen Zollstreitigkeiten wiederum lassen die Metallgießer gerade weitgehend kalt. „99 Prozent unserer Teile verlassen Deutschland nicht“, erklärt Ole Kuthning.  

Gemeinschaftlicher Übergang in die nächste Generation

Finn Raguse und Ole Kuthning wickeln den Hauptteil des operativen Geschäfts ab, Geschäftsführer sind aber Adolf und Wilhelm Raguse. Der administrative Übergang ist längerfristig ausgelegt, was den Geschäftsführern in spe entgegenkommt. „Wir treffen strategische Entscheidungen weiterhin in Absprache“, erklärt Finn Raguse. „Da ist es auch von unschätzbarem Vorteil, dass wir auf ihre Erfahrung und Expertise zurückgreifen können. Bei Haftungsfragen etwa können wir gleichzeitig noch einen gewissen Welpenschutz genießen.“  

Eine Herausforderung ist auch für Raguse & Voss der aktuelle Fachkräftemangel, auch wenn sich hier in jüngerer Zeit etwas getan hat. „Wir haben nach etlichen mageren Jahren gerade drei neue Auszubildende auf einmal einstellen können“, freut sich Ole Kuthning. „Zwei Feinmechaniker und einen Gießereitechniker. Das lief ganz oldschool: Jemand den man kennt, kennt einen, der Bock hat und ein Praktikum machen will. Und nicht auf dem klassischen Weg über die Agentur für Arbeit.“ 
Auch dass Raguse & Voss kürzlich als Sponsor bei den Fischtown Pinguins eingestiegen ist, ist vor dem personellen Hintergrund zu sehen. „Es geht da mehr um Rekrutierung als um Kundengewinnung. Wir wollen in die Köpfe rein, dass die Leute denken ‚Ach guck, die gibt es ja auch noch!‘. Auch in den Schulen wollen wir uns dafür stärker ins Bewusstsein bringen.“ Social Media hingegen spielt für die Nachwuchswerbung keine Rolle. 

Tradition und Innovation: Kein Widerspruch

Mit rund fünf Jahrtausenden Vergangenheit gehört das Gewerbe von Raguse & Voss wohl zu den ältesten der Menschheitsgeschichte. Und vielen kommt bei einer Metallgießerei vermutlich immer noch als erstes Schillers „Glocke“ in den Sinn. Und wenn man sieht, wie die glühende Metallmasse sich in eine bereitgestellte Form ergießt, entsteht automatisch ein Gefühl, als wäre die Zeit irgendwo innerhalb dieser 5000 Jahre stehengeblieben. Für einen orange glühenden Moment scheint technischer Fortschritt weit weg zu sein. Dabei hat sich auch schon in der vergleichsweise kurzen Zeit, die Ole Kuthning und Finn Raguse in der Metallgießerei verbracht haben, vieles geändert. 
„Allein in der Mess- und Bearbeitungstechnik ist viel passiert“, sagt Finn Raguse. „Als wir anfingen, wurden die Modelle im Prinzip noch von Hand gebaut und man musste sich nicht selten über ‚Trial and Error‘ mit mehreren Gießvorgängen an das fertige Teil herantasten. Heute werden Modelle in einer fünfachsigen Portalfräse erstellt und wir können bis zu 20 Gießvorgängen nacheinander am Computer simulieren, bevor wir an den eigentlichen Guss gehen.“ Selbst der Sand für die Gussformen kommt inzwischen aus dem 3-D-Drucker und ist dadurch optimiert. „Und doch ist das Gießen immer noch Handarbeit“, sagt Ole Kuthning. Und die Faszination, was da entsteht, ist immer noch die gleiche wie zur Bronzezeit oder bei Friedrich Schiller.   

Bildmaterial

  1. Raguse_und_Voss_DSC06803.jpg
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Hier geht's zur Website: https://raguse-voss.de/

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