Startseite Leichte Sprache Gebärdensprache

Wie ein Start-up die Früherkennung von Hodenkrebs revolutioniert

Was lange währt, wird endlich gut. Nach einem Dutzend Entwicklungsjahren und fast zehn Jahre nach der Unternehmens-gründung bietet das Bremerhavener Start-up mir|detect ein neuartiges Testfahren für eine verbesserte Diagnose von Hodenkrebs-Erkrankungen an. Für Patienten bedeutet das mehr Sicherheit. Geschäftsführerin Dr. Nina Winter hat sich nun ein weiteres Ziel gesetzt.

27.11.2025
Autor: Wolfgang Heumer

Bei rund 4.000 jungen Männern wird jährlich in Deutschland Hodenkrebs diagnostiziert. Auch wenn die Erkrankung rechtzeitig behandelt wird, müssen die Betroffenen für etwa zehn Jahre mehrmals jährlich zu Nachuntersuchungen. Dabei wird im Blut der Patienten mit Hilfe von Biomarkern nach Hinweisen auf eine neuerliche Erkrankung gesucht. Biomarker gelten als Hoffnungsträger in der Früherkennung, sie sind biologische Substanzen, die auf Krebs im Körper hinweisen. „Die bislang eingesetzten Marker sind mit einer Erfolgsquote von etwa 50 Prozent aber sehr ungenau“, sagt die Biologin Dr. Nina Winter, die das Bremerhavener Start-up mir|detect leitet. Zudem müssen die Patienten bis zu viermal im Jahr zu Computertomographien (CT). „Die Häufigkeit der strahlenintensiven CT-Untersuchungen birgt das Risiko von weiteren Krebserkrankungen.“
 
Winzigste Spuren im Blut geben Hinweis auf Erkrankung
 
Hier setzt ein von Winter mitentwickeltes neues Verfahren an: Dabei lassen sich im Blut des Patienten vereinfacht gesagt winzigste Spuren – die so genannte microRNA – aus den Erbinformationen der Krebszellen nachweisen. Der M371-Test soll so Patienten mehr Sicherheit bei der Diagnose bringen und somit auch die Zahl der notwendigen CT-Untersuchungen reduzieren. „Klinische Tests haben bewiesen, dass die Zuverlässigkeit bei mehr als 94 Prozent liegt“, freut sich Nina Winter. Damit sei das Verfahren den klassischen Markern deutlich überlegen. Mit anderen Worten: M371 ermöglicht über eine einfache Blutprobe eine relativ präzise Früherkennung von Hodentumoren.
 
Der Weg zum Ziel war lang. Von der Idee bis zur Zulassung waren zwölf Jahre harter Entwicklungsarbeit erforderlich, berichtet Nina Winter. Bis sie mit ihrem 2016 gegründeten Unternehmen das erste Geld verdiente, mussten sie und ihre Mitgesellschafterin Dr. Meike Spiekermann immer wieder tief in die eigene Tasche greifen.
 
Bahnbrechende Entdeckung gemacht
 
Die Entdeckung, dass eine bestimmte microRNA-Sequenz im Blut eine Hodenkrebs-Erkrankung anzeigt, machte Meike Spiekermann bereits 2011, als sie im damaligen Bremer Institut für Humangenetik für ihre Diplomarbeit forschte. Damals lernten sich Winter und Spiekermann kennen, beide hatten am Zentrum für Humangenetik der Universität Bremen promoviert. In Gesprächen mit dem Bremer Humangenetiker Dr. Gazanfer Belge und dem Hamburger Urologen Professor Klaus Peter Dieckmann wurde ihnen die Bedeutung von Spiekermanns Entdeckung schnell deutlich. 2013 starteten sie an der Universität Bremen ihr erstes Projekt, um aus der Erkenntnis ein anwendbares Testverfahren zu entwickeln. Es lag viel Arbeit vor ihnen.
 
Drei Jahre später waren sie so weit gekommen, dass sie voller Enthusiasmus mit mir|detect ihre eigene Firma gründeten, um das Testverfahren zur Marktreife und in die Produktion zu bringen. „Anfangs haben wir nicht geahnt, was da auf uns zukommen würde. Und als es uns klar wurde, wollten wir auf keinen Fall aufgeben“, erinnert sich Nina Winter.
 
Entwicklung mit Hilfe von Forschungsprogrammen finanziert
 
Medizinische Produkte oder Verfahren zu entwickeln, kostet Zeit sowie Arbeitskraft und damit viel Geld. Die ersten Jahre konnten die beiden Wissenschaftlerinnen aus Programmen der Forschungsförderung finanzieren. Als diese beendet waren, standen beide vor einer schweren Entscheidung: Wie sollte es weitergehen? „Aufgeben war keine Option“, betont Nina Winter. Auch wenn die Konsequenzen hart waren, finanzierten sie die weitere Entwicklung aus eigenen Mitteln. Wenn für den Lebensunterhalt nichts mehr übrig war, mussten Hilfsjobs zum Beispiel im Supermarkt gemacht werden.
 
Investoren mussten überzeugt werden
 
Natürlich suchten die überzeugten Wissenschaftlerinnen Investorinnen oder Investoren. Doch die meisten, die sie ansprachen, zeigten sich zurückhaltend – bei rund 4.000 potenziellen Anwendungsfällen pro Jahr erschien das Vorhaben wirtschaftlich nicht interessant genug. „Man muss die Zahlen aber etwas genauer betrachten“, sagt Nina Winter. „Jeder Erkrankte muss nach einer Behandlung zumindest zehn Jahre lang mehrmals jährlich zur Nachuntersuchung. Jedes Mal ist dann ein Test erforderlich.“ Ihre Motivation weiterzumachen, zogen die beiden aus ihrem festen Glauben an den Bedarf und die Bedeutung ihrer Entwicklung. „Aus den vielen Gesprächen mit Gazanfer Belge und Klaus-Peter Dieckmann wussten wir, dass die medizinische Fachwelt dringend auf einen solchen zuverlässigen Nachweis wartete.“
 
Viele Herausforderungen gemeistert
 
Die enge Einbindung in ein tragfähiges Netzwerk von Forschenden und Medizinerinnen und Medizinern wie Belge und Dieckmann ist bis heute ein wesentlicher Erfolgsfaktor des Unternehmens. „Der Wissensaustausch mit den künftigen Anwendern hat uns sehr geholfen“, ist Nina Winter überzeugt. 

Dabei ist die Entwicklung der erforderlichen Technologie für das Aufspüren der winzigen microRNA-Spuren nur eine von vielen Herausforderungen in einem solchen Projekt. „Allein das Zulassungsverfahren ist genau wie die Frage der Kostenerstattung durch die Krankenkassen ein äußerst schwieriges Kapitel“, erklärt Dr. Jan Diesend, der seit 2023 als technischer Leiter dem inzwischen elfköpfigen Team von mir|detect angehört. „Wir leben zwar in der EU, aber statt einer gemeinsamen Regelung für alle Mitgliedsstaaten hat jedes einzelne Land seine eigenen Bestimmungen und Prozeduren für den Weg in die Krankenkassenerstattung“, berichtet er. All das kostet Zeit.

Zulassungshürden inzwischen überwunden
 
Das Testverfahren stieß aber nicht nur in Europa, sondern weltweit auf großes Interesse unter Medizinern. Auch für die noch anstehende Zulassung in den USA und weiteren außereuropäischen Ländern müssen wieder etliche Nachweise einschließlich langer klinischer Testreihen erarbeitet und erbracht werden.
  
Die meisten Zulassungshürden hat mir|detect mittlerweile überwunden. Jetzt beginnt die nicht minder zeitaufwendige, aber für den Markterfolg unverzichtbare Detailarbeit. „Unser Verfahren kann auf den meisten gängigen Laborgeräten für DNA-Analysen eingesetzt werden“, erläutert Jan Diesend. Aber: Für jeden einzelnen Gerätetyp muss das Testverfahren validiert werden.
 
Umzug von Bremen nach Bremerhaven
 
Obwohl das Team aus der Universität Bremen hervorgegangen ist, entschied es sich nach der Gründung für einen Umzug nach Bremerhaven, da in Bremen keine geeigneten Laborräume zur Verfügung standen. „Das war eine gute Entscheidung“, sagt Diesend rückblickend. Die Seestadt hat schon vor Jahren das Gründerzentrum Bio Nord aufgebaut, das speziell auf Unternehmen aus dem Bereich Biotechnologie ausgerichtet ist. Dort fanden Nina Winter und ihr Team neben genügend Büroarbeitsplätzen auch die erforderliche Infrastruktur, um die M371-Technologie auf allen erdenklichen Analysegeräten zu testen und zu validieren. Meike Spiekermann hat sich unterdessen aus dem operativen Geschäft zurückgezogen, sie bleibt aber Gesellschafterin.
 
Inzwischen hat in dem Unternehmen auch die Arbeit an einem weiteren zukunftsweisenden Projekt für die Krebsdiagnose begonnen. „Das Grundprinzip unseres zunächst für Hodenkrebs entwickelten Testverfahrens ist auch bei anderen Krebsarten einsetzbar, die von einer vereinfachten und zuverlässigeren Diagnostik profitieren können“, ist Winter überzeugt. „Jetzt werden wir das Verfahren für andere Krebserkrankungen weiterentwickeln.“
 
Dass die nun wieder vor ihr liegenden Entwicklungsschritte erneut eine so entbehrungsreiche Zeit bedeuten wie am Anfang, glaubt sie nicht: „Wir haben ja nun schon einmal gezeigt, was wir können“, betont sie. Dabei meint sie nicht nur die medizinischen Aspekte ihres Produktes. Auch für Investorinnen und Investoren ist der potenzielle ökonomische Erfolg inzwischen erkennbar: Immer mehr Labore und Kliniken in Europa und selbst in den USA setzen auf das Testverfahren made in Bremerhaven.

Bildmaterial

  1. 251127_PM_ Früherkennung von Hodenkrebs_1.jpg
    Dateigröße: 4,5 MB
  2. 251127_PM_ Früherkennung von Hodenkrebs_2.jpg
    Dateigröße: 8,5 MB
  3. 251127_PM_ Früherkennung von Hodenkrebs_3jpg
    Dateigröße: 7,8 MB

Pressekontakt:
 
Dr. Nina Winter, Geschäftsführung mir|detect GmbH, Tel.: +49 421 408937110, E-Mail: n.winter@mirdetect.de

Der Pressedienst aus dem Bundesland Bremen berichtet monatlich über Menschen und Geschichten aus dem Bundesland Bremen mit überregionaler Relevanz, herausgegeben von der WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH. Bei den Artikeln handelt es sich nicht um Werbe- oder PR-Texte, sondern um Autorenstücke, die von Journalistinnen und Journalisten geschrieben werden. Es ist erwünscht, dass Redaktionen den Text komplett, in Auszügen oder Zitate daraus übernehmen.     
  
Bei Fragen schreiben Sie einfach eine E-Mail an: pressedienst@bremen.de    

Als PDF herunterladen