24.04.2022
Autor: Wolfgang Heumer
Die Aussicht aus der Glaskanzel hoch über dem Neuen Hafen in Bremerhaven ist an diesem sonnigen Tag fantastisch. Nach Norden reicht der Blick über die Wesermündung bis zur Nordsee. Richtung Westen ist sogar die gut 40 Kilometer entfernte Raffinerie von Wilhelmshaven zu erkennen. Dennoch schaut Carsten Johannssen immer wieder aufmerksam auf vier Monitore an der Decke über seinem Schreibtisch: „Auch wenn die Aussicht noch so schön ist, müssen wir das Geschehen auf der Weser hier im Blick behalten“, sagt der 67-Jährige. Wir – das sind zehn Rentner, die abwechselnd aus der Glaskanzel des Schleusen-Leitstands heraus die Schleuse Neuer Hafen steuern. Sie liegt gleich neben dem denkmalgeschützten Simon-Loschen-Leuchtturm, der mit fast 170 Jahren der älteste noch betriebene Festland-Leuchtturm an der Nordseeküste ist.
Mit mehr als 12.000 Schiffsbewegungen pro Jahr ist die kleinste der drei Zufahrten zu den Überseehäfen unter touristischen Gesichtspunkten eine der wichtigsten für die Seestadt. Denn hier fahren nicht nur Schlepper und andere kleinere Berufsschiffe ein und aus. „Die Schleuse wird vor allem von den Besucherinnen und Besucher der Stadt genutzt, die mit dem eigenen Boot nach Bremerhaven kommen“, erläutert Peter Burhorn (84), der als Sprecher der Schleusenmannschaft den Einsatz auf dem Schleusen-Leitstand koordiniert. Die Schleuse ist für die Gäste also das Tor zur Seestadt.
Zwei-Schicht-Betrieb für die freie Hafenzufahrt
Eine Gruppe von Rentnern als Schleusenwärter und damit in einer Position, die überall sonst Festangestellte der Hafengesellschaften innehaben? Im ersten Moment wirkt das überraschend. Peter Burhorn erläutert den Hintergrund: „Anders als in der großen Berufsschifffahrt ist die Ankunft oder Abfahrt von Sportbooten kaum zu planen.“ Doch wenn die Gäste Bremerhaven auf dem Wasserweg erreicht haben oder die Stadt wieder verlassen möchten, sollen sie nicht stundenlang auf eine Schleusenöffnung warten. Entsprechend ist der Schleusen-Leitstand während der Touristensaison von Mai bis September täglich in zwei Schichten von 6.00 bis 22.00 Uhr besetzt, im April sowie im Oktober und November sind die Schleusenwärter von 8.00 bis 18.00 Uhr dienstbereit. „Ohne unsere Rentner-Gang wären diese Öffnungszeiten gar nicht möglich“, ist Peter Burhorn überzeugt. Nur während der Nachtstunden und in der Winterzeit geht die Nutzung dann so weit zurück, dass die Zufahrt vom zentralen Leitstand der Nord- und der Kaiserschleuse ferngesteuert geregelt werden kann.
Bremerhaven international: „Moin leeve Lüdd, runner von de Brück“
Kaum hat Burhorn in der Theorie das Schleusenprinzip erläutert, wird die Notwendigkeit des persönlichen Schleusenwärter-Einsatzes in der Praxis deutlich. „Hier ist die ,Geestemünde’, ich bin in zehn Minuten bei euch und möchte einlaufen“, erklingt es aus dem Funkgerät im Leitstand. „In Ordnung, Michael, du kannst kommen“, antwortet Carsten Johannssen. Die „Geestemünde“ ist ein Ausflugsdampfer, der täglich mit Gästen auf der „Dicke-Pötte-Tour“ zum viertgrößten europäischen Containerterminal – der Bremerhavener Stromkaje – fährt. Michael ist der Kapitän; man kennt sich hier in Bremerhaven. Entsprechend leger ist der Umgangston auch im Funkverkehr.
Auf einem der Monitore über dem Schreibtisch hat Johannssen die „Geestemünde“ bereits entdeckt. Schnell wirft er einen kontrollierenden Blick über das äußere Schleusentor – das so genannte Außenhaupt wird von Fußgängern und Radfahrern als Überweg genutzt. Per Knopfdruck startet der Schleusenwärter eine Ansage: „Moin leeve Lüdd, runner von de Brück“, erklingt es da auf plattdeutsch; dann folgt die Aufforderung zum Verlassen des Außenhauptes noch auf hochdeutsch und englisch. „Wir sind hier eben international“, schmunzelt Carsten Johannssen. Tatsächlich sind die Schleusenübergänge während der Touristensaison stark frequentiert. Weil zudem nicht jeder Sportboot-Gast große Erfahrungen mit dem Passieren einer Schleuse hat, „ist es schon allein eine Frage der Sicherheit, dass hier immer ein Schleusenwärter vor Ort ist“, ist Peter Burhorn überzeugt.
„So bleibe ich mit der Seefahrt in Verbindung“
Wer im Leitstand Dienst hat, muss stets aufmerksam sein. Konzentriertes Arbeiten unter besonderen Rahmenbedingungen ist den zehn Mitgliedern des Schleusenteams nicht fremd – im Gegenteil: „Wir sind alle selbst als Nautiker zur See gefahren“, berichtet Peter Burhorn. Der 84-Jährige war Kapitän auf Großer Fahrt, dann arbeitete er als Inspektor für eine der ersten großen Containerreedereien. Nach der Pensionierung blieb er der Seefahrt treu – nicht nur als Sprecher des Teams sondern auch viele Jahre als Kapitän auf dem legendären Großsegler „Alexander von Humboldt“ und ihrer Nachfolgerin, die unter Windjammerfreunden kurz „Alex 2“ genannt wird. Carsten Johannssen versorgte bis zur Rente die Containerschiffe in Bremerhaven per Bunkerboot mit Treibstoff. Kaum war er im Ruhestand, heuerte er bei der Schleuse an. „Das ist eine tolle Aufgabe; und so bleibe ich mit der Seefahrt in Verbindung.“
Mit einem Mausklick den Schleusenbetrieb immer im Griff
Doch der Rentnerjob in der Glaskanzel hat es in sich. „Einfach nur Knöpfchen drücken? Das reicht hier nicht“, lacht Burhorn. Erläuternd zeigt er auf den Flachbildschirm, der vor ihm auf dem Schreibtisch steht. Abgebildet ist eine vereinfachte Grafik der Schleusenanlage aus der Vogelperspektive. Der 19-Zoll-Monitor und eine Computermaus ersetzen die gesamte Armaturen- und Knopfbatterie, die noch vor wenigen Jahren die Schleusen-Leitstände ausfüllten. „Hier geht alles auf Mausklick“, sagt Burhorn – und trotzdem haben die Schleusenwärter alle Hände voll zu tun. Kaum hat die „Geestemünde“ die Schleuse verlassen, meldet sich von See ein Tankschiff, das in den Hafen will. Über Funk hat sich eine weitere Segelyacht angemeldet. Und dann klingelt auch noch das Handy – die Besatzung eines Motorbootes fragt nach einem abendlichen Termin, um die Lloyd Marina gleich neben der Schleuse in Richtung Bremen verlassen zu können. „Manchmal kommen auch Boote, die weder Funk noch Handy an Bord haben und per Handzeichen um Einfahrterlaubnis bitten“, berichtet Carsten Johannssen.
Burhorn gibt derweil der ankommenden Segelyacht aus den Niederlanden navigatorische Hilfen. „Beim Einlaufen in den Vorhafen musst du unbedingt auf die Strömung achten.“ Insbesondere bei ablaufendem Wasser bildet sich an der Zufahrt ein kräftiger Neerstrom, der Boote plötzlich zur Seite drückt: „Da muss du mit Maschinenkraft und Backbordruder gut gegensteuern“, rät der Fachmann. Gute Ratschläge wie diese, stets in freundlichem Ton, hat das Schleusenwärter-Team längst zu Botschaftern Bremerhavens werden lassen. Die Gäste und Einwohner der Stadt wissen, was sie an der Rentner-Gang haben. In der vergangenen Saison hing auf einmal ein Plakat am Außenhaupt: „Danke an das freundlichste Schleusenteam der Welt“, stand da drauf.
Pressekontakt:
Peter Burhorn, Sprecher des Schleusenwärter-Teams Schleuse Neuer Hafen, Tel.: +49 471 9412840
Bildmaterial:
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Foto 1: Peter Burhorn (links) und Carsten Johannssen haben vom Schleusenstand einen guten Überblick auf den Neuen Hafen, die Außenweser und den Simon-Loschen-Leuchtturm gegenüber. © WFB/Jörg Sarbach
Foto 2: Der Schlepper Bremerhaven fährt in die Schleuse ein. Im Schleusen-Leitstand links haben Peter Burhorn und Carsten Johannssen alles im Blick. © WFB/Jörg Sarbach
Foto 3: Der Ausflugsdampfer „Geestemünde“ fährt aus der Schleuse in den Neuen Hafen. © WFB/Jörg Sarbach
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