17.12.2025
Autor: Wolfgang Heumer
Der Anblick ist im ersten Moment etwas irritierend. Von außen wirkt das Gebäude im Bremerhavener Stadtteil Wulsdorf mit seinem asymmetrischen Dach und dem roten Glockenturm immer noch wie eine Kirche. Doch an der Eingangstür weist ein reduziert gestaltetes Signet mit Umrissen von Hund und Katz auf das wahre Geschehen dahinter hin: Tierarztpraxis Wulsdorf. Seit Oktober kurieren hier drei Veterinärmedizinerinnen und zwei Tierarzthelferinnen Hunde, Katz und gegebenenfalls auch Maus, Meerschweinchen und Kaninchen von ihren Leiden. „Als wir das Gebäude zum ersten Mal gesehen haben, konnten wir uns auch überhaupt nicht vorstellen, hier eine Praxis einzurichten“, erinnert sich Olga Androssova. Doch im zweiten Anlauf erkannten sie und ihre Kolleginnen Frauke Zok und Dr. Simone Tenhagen-Holscher, auch dank der Unterstützung durch einen versierten Planer, das Potenzial der ehemaligen Lutherkirche. Sie kauften das Areal und richteten dort gemeinsam mit viel eigenem Engagement ihre Tierarztpraxis Wulsdorf ein. Wenige Wochen nach der Eröffnung bewegen sich die beiden Tierärztinnen, ihre Kollegin sowie die Tierarzthelferinnen Farina Siedenburg und Alicia Münch dort so routiniert, als hätten sie nie woanders gearbeitet. „Der Schritt in die Selbstständigkeit ist uns nicht leichtgefallen, war aber genau die richtige Entscheidung“, ist Frauke Zok überzeugt.
In der Summe bringen die drei Tierärztinnen 74 Jahre Erfahrung in der Behandlung von Kleintieren als gemeinsame Kompetenz in ihre Praxis ein. Für die vierbeinigen Patienten und auch für ihre Besitzer:innen ist das ein beruhigender Faktor - sie treffen in der Tierarztpraxis Wulsdorf auf ein routiniertes Team. „Tiere können uns ja leider nicht erzählen, wo es ihnen wehtut und was ihnen fehlt“, sagt Simone Tenhagen-Holscher mit einem spürbaren Bedauern in der Stimme. Das über Jahre erworbene Einfühlungsvermögen zahlt sich aus, denn die Tierärztinnen müssen ihre Patienten genau beobachten, anhand der Symptome gezielt und sorgfältig untersuchen - und nebenbei noch auf Frauchen oder Herrchen achten, die das Unwohlsein ihres tierischen Lieblings häufig noch mehr quält als das Tier selbst.
In jahrelanger Zusammenarbeit ein großes Vertrauen zueinander aufgebaut
Zu der Routine trägt bei, dass die drei viele ihrer Berufsjahre Hand in Hand als angestellte Ärztinnen in einer Praxis im Bremerhavener Umland gearbeitet haben. „Wir kennen uns gut, wissen wie wir arbeiten und ergänzen uns mit unseren unterschiedlichen Schwerpunkten“, betont Olga Androssova. Als ihr bisheriger Arbeitgeber in den Ruhestand ging und seinen Betrieb an ein veterinärmedizinisches Großunternehmen verkaufte, reifte in den drei Tierärztinnen der Gedanke an eine eigene Praxis heran. „Der Trend zu Großunternehmen ist in unserem Fachbereich schon länger zu beobachten“, meint Olga Androssova - auch das Tiergesundheitssystem steht unter einem gewissen Kostendruck. Wenn langjährige Veterinäre in den Ruhestand gehen, ist ein solcher Verkauf häufig eine nahe liegende Möglichkeit für eine Nachfolgeregelung. Nachdem sie so viele Jahre so eng als Team zusammengearbeitet hatten, gab ein weiterer Aspekt für die drei den Ausschlag in Richtung Selbstständigkeit: „Wir sind es gewohnt, ganz eng zusammenzuarbeiten und einen ganz engen Kontakt zu unseren vierbeinigen Patienten zu pflegen“, sagt Frauke Zok, „und das können wir am besten in unserer eigenen Praxis.“
Allen anfänglichen Zweifeln zum Trotz erwiesen sich die ehemalige Kirche mitsamt dem früheren Gemeindesaal als ideal für ein Praxis-Konzept, das einerseits den Anforderungen an die Wirtschaftlichkeit genügt und andererseits den Patienten den Wohlfühlcharakter bietet. „Dank des großzügigen Platzes konnten wir die Arbeitsbereiche, zu denen nur wir und unsere Assistentinnen Zutritt haben sollen, von den allgemeinen Behandlungsbereichen abtrennen“, erläutert Simone Tenhagen-Holscher. Dank des kompletten und aufwendigen Umbaus ist eine helle und freundliche Praxis entstanden. Das frühere Kirchenschiff beherbergt jetzt den Röntgenraum sowie drei Operationsräume und das Labor, zu denen nur die Ärztinnen und ihre Assistentinnen Zugang haben. Im ehemaligen Gemeindesaal sind die Behandlungsräume untergebracht, in die Herrchen oder Frauchen ihre vierbeinigen Lieblinge begleiten können. Dazwischen befindet sich der Eingangsbereich mit dem Empfang und den Wartezimmern. „Jede von uns verfügt jetzt über einen eigenen Behandlungsraum“, freut sich Frauke Zok. Dadurch konnte jede Ärztin ihren Arbeitsplatz nicht nur optimal den eigenen gewohnten Handgriffen anpassen - dass jetzt drei Behandlungen gleichzeitig möglich sind, verkürzt die Wartezeiten für die Patienten.
Versierte Fachleute unterstützen die Tierärztinnen bei der Praxis-Planung
Eine neue Tierarztpraxis einzurichten, ist weder fachlich noch finanziell ein Kinderspiel. Für die Raumausstattung, die organisatorischen Abläufe und die technische Ausstattung vertrauten die Ärztinnen auf einen versierten Planer. Für alle Themen rund um Business-Pläne und Finanzierungsfragen stand ihnen das afz Bremerhaven sowie das Starthaus Bremerhaven zur Seite. „Wir sind Tierärztinnen und keine Ökonomen“, sagt Olga Androsovva mit einem Lächeln, „ohne die Beraterinnen und Berater hätten wir an viele wichtige Aspekte erst sehr spät oder vielleicht gar nicht gedacht.“ Der Umbau der Kirche war für die drei dennoch anstrengend genug: „Um die Kosten in Grenzen zu halten, haben wir ganz viel in Eigenleistung erbracht“, berichtet Frauke Zok. Da war der Muskelkater programmiert.
Dank ihrer langjährigen Erfahrung haben die drei Ärztinnen zwar so gut wie alles gesehen, diagnostiziert und behandelt, was als Erkrankung oder Unfall Vierbeiner aus dem Gleichgewicht bringen kann. „Jeder Praxisbesuch bedeutet Stress für Tiere und Menschen“, betont Olga Androssova, „das wollen wir auch durch die Gestaltung unserer Praxis so gering wie möglich halten.“ Hunde und Katzen haben getrennte Wartezimmer; für die Hunde gibt es bequeme Liegepolster auf dem Boden; die Katzenkäfige nebenan können erhöht abgestellt werden, so dass die Tiere - wie sie es gerne mögen - alles um sie herum im Blick behalten können. Und auch an den letzten Schritt, den Herrchen oder Frauchen mit ihren Lieblingen gehen müssen, haben die drei gedacht: Wenn es sein muss, können sie in einem stillen Bereich von ihren vierbeinigen Freunden Abschied nehmen.
Ehemalige Kirche gibt den Tierärztinnen viel mehr Freiraum als erwartet
Solche räumlichen Möglichkeiten zählen zu den Besonderheiten und Vorteilen, die die drei Ärztinnen nach und nach an der ehemaligen Kirche entdeckten. Zuvor hatten sie sich noch andere Standorte in Bremerhaven angeschaut. „Der Aufwand für einen Umbau wäre zumeist genauso hoch gewesen wie hier“, meint Olga Androssova, „aber nirgendwo gab es so viel Freiraum, wie wir ihn jetzt haben.“ Das meint die Tierärztin durchaus wörtlich: die ehemalige Kirche ist von einem Garten umgeben, der eine gewisse räumliche Distanz zu den Nachbarn schafft. „So bewahren wir die Privatsphäre für die Tierhalterinnen und Tierhalter und gleichzeitig auch die unserer Nachbarn“, ist Frauke Zok überzeugt. Aber nicht nur deshalb sind die drei Medizinerinnen mit der Standortwahl glücklich: „Wir befinden uns hier in einer Umgebung, in der es viele Menschen mit Haustieren gibt“, betont Olga Androssova, „und aus dem benachbarten Landkreis sind wir auch sehr gut zu erreichen.“
Für Ortsfremde ist die Orientierung leicht - am ehemaligen Kirchturm ist das Praxisgebäude schnell zu erkennen. Die drei Ärztinnen haben aber nicht nur den Turm, sondern auch den Charakter der Kirche bewahrt. Die hohe Decke des Kirchenschiffes musste zwar abgehängt werden, weil sich darunter die Operationsräume befinden. Aber die frühere Kirchenorgel gibt es weiterhin. „Wir haben sie bewusst erhalten“, sagt Olga Androssova. Gelegentlich erklingt die alte Kirchenorgel sogar wieder. Der frühere Kirchenorganist kommt ab und zu vorbei und spielt außerhalb der Praxiszeiten auf dem Instrument. „Das ist einfach sehr schön, denn so bleibt trotz der neuen Nutzung ein bisschen von der Kirche erhalten, die ja vielen Menschen etwas bedeutet hat“, ist Olga Androssova überzeugt.
Mehr über die Tierarztpraxis Wulsdorf erfahren Sie hier: https://tierarzt-wulsdorf.de/