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Bremerhaven ist der Nabel der Wasserstoffwelt

6. Wasserstoff-Symposium der BIS Bremerhaven thematisiert erste praktische Erfahrungen

10.11.2025
Autor: Wolfgang Heumer

„Grüner“ Wasserstoff (H2) bleibt als CO2-neutraler Energieträger ein essentieller Beitrag zum Klimaschutz, auch wenn die Euphorie um das vielseitige Element derzeit nachgelassen hat. Das haben alle Referierenden aus Forschung, Industrie und Anwendung auf dem 6. Wasserstoff-Symposium der BIS Bremerhaven unterstrichen. Bremerhaven gilt als führendes Entwicklungszentrum für die H2-Produktion mit Hilfe erneuerbarer Energien.

In 15 bis 20 Jahren wird Wasserstoff zu etwa einem Drittel zum Endenergieverbrauch in Deutschland in Höhe von insgesamt knapp 1500 Terrawattstunden beitragen. Die eigentliche Bedeutung liege aber in den vielfältigen Möglichkeiten, die H2 biete, betonte André Steinau, Head of Business Relations/Hydrogen im Energieunternehmen GP Joule, zu Auftakt des Symposiums. Dank seiner guten Speicherfähigkeit sei Wasserstoff ideal für Backup-Lösungen, um auch längerfristige Engpässe in der Energieversorgung auszugleichen: „Elektrische Batterien können dagegen nur als kurzfristige Lösung dienen“, erläuterte Steinau. Vor allem aber biete grüner Wasserstoff die beste Möglichkeit, die Stromnetze als größten Engpass und teuerstes Teilstück in der künftigen Energieversorgung zu entlasten: „Wasserstoff lässt sich einfach und schnell transportieren.“ Das sei zudem die Basis für eine lokale Nutzung mit einer entsprechenden Wertschöpfung und verringere die Abhängigkeit von internationalen Energielieferungen.

Grüner Wasserstoff treibt Bremerhavens Personennahverkehr voran

Die Zukunft der wirtschaftlichen Nutzung von grünem Wasserstoff hat in Bremerhaven bereits begonnen. Deutlich wurde dies bei Exkursion zum Betriebsgelände von BremerhavenBus. Das Unternehmen setzt mittlerweile zehn mit H2 und Brennstoffzellen betriebene Busse im regulären Liniendienst ein und hat seine Werkstatt zur Wartung der neuen Fahrzeuge umfänglich hergerichtet. Auf dem Weg zum CO2-neutralen öffentlichen Nahverkehr hatte sich das Unternehmen bewusst gegen rein batterieelektrisch betriebene Fahrzeuge und für eine Kombination aus Batterie- und Brennstoffzelle entschieden. Wegen der vergleichsweise geringen Reichweite von Batterie-Bussen und der langen Ladezeiten hätte der Verkehrsbetrieb seine Flotte mit erheblich Kosten ausweiten müssen, um das bisherige Angebot an Verbindungen halten zu können. Die jüngsten Fahrzeuge im Fuhrpark - drei eCitaro fuel cell-Gelenkbusse des Marktführers Daimler Buses - folgen dem Range-Extender-Konzept. Fahrleistung und -dynamik werden von der Energieversorgung durch Batterien bestimmt, die über eine Brennstoffzelle mit 60 Kilowatt Nennleistung geladen werden. „Unser Fokus lag auf der Reichweite“, erläuterte Daimler-Produktmanager Michael Thiel während des Symposiums, „mit 500 Kilometern decken wir nahezu 100 Prozent der von unseren Kunden gefahrenen Strecken ab.“

CO2-neutraler Bahnbetrieb ist im ländlichen Raum nur mit Hilfe von Wasserstoff möglich

Auch auf der Schiene ist Bremerhaven auf dem Weg in die CO2-neutrale Zukunft. Seit drei Jahren setzt das niedersächsische Verkehrsunternehmen EVB auf der Verbindung Cuxhaven-Buxtehude insgesamt 14 H2-Nahverkehrszüge im weltweit ersten Regelbetrieb ein. Bei der Weichenstellung zum klimafreundlichen Betrieb habe es keinen anderen Weg gegeben, versicherte Marcus Rech, Geschäftsbereichsleiter Schienenfahrzeugtechnik und Instandhaltungsmanagement der EVB: „Es wäre wirtschaftlich nicht darstellbar gewesen, die nicht elektrifizierte Strecke für einen elektrischen Betrieb nachzurüsten.“ Das vom Land Niedersachsen geförderte Projekt offenbarte aber Herausforderungen, die derzeit noch im Wasserstoff-Betrieb stecken. Für die im Alltag notwendigen Prozesse und Standards gab es keine best-practise-Beispiele; zumindest anfangs mangelte es an den für eine Reichweiten-Ermittlung notwendigen Erfahrungen; für die Bewertung möglicher Risiken fehlte das notwendige Regelwerk; der interne und externe Schulungsaufwand erwies sich als sehr groß: „Es ist zum Beispiel wichtig, auch die Feuerwehren entlang der Strecke in die Schulungen miteinzubeziehen“, betonte Rech. Obwohl die Züge mittlerweile zum Standardprogramm des Unternehmens zählen, gibt es immer noch technische Herausforderungen: „Die technische Verfügbarkeit liegt weiter unter dem Zielwert“, räumte Rech ein.

Wissenschaftslandschaft in Bremerhaven auch im internationalen Vergleich herausragend

Schwachstellen und „to-do’s“ zu identifizieren, gehört in der Wasserstoffwirtschaft zu den zentralen Aufgaben von Pilotprojekten, betonten viele der Referierenden auf dem 6. Wasserstoff-Symposiums. Vor diesem Hintergrund ist in Bremerhaven innerhalb weniger Jahre eine Wissenschaftslandschaft entstanden, die auch im internationalen Vergleich eine herausragende Stellung hat. Zu den treibenden und gestaltenden Kräften gehören das Forschungsinstitut Fraunhofer IWES, die privatwirtschaftliche Initiative HY.City.Bremerhaven sowie das Technologie-Transferzentrum der Hochschule, ttz Bremerhaven. Im Ergebnis verfügt Bremerhaven gleich über zwei Produktionsstätten für grünen Wasserstoff, derzeit noch einzigartig in Deutschland.

Auf dem Gelände des früheren Bremerhavener Flughafens Luneort bietet das Fraunhofer-Institut Entwicklern und Herstellern Testkapazitäten für die Erprobung ihrer Technologien und Systeme. Dort ist das gesamte Spektrum der Wasserstoff-Erzeugung in direkter Nähe zu den Quellen erneuerbarer Energie untergebracht. Die Bandbreite reicht von der Meerwasser-Entsalzungsanlage für die Rohstoff-Gewinnung über die Schnittstellen zwischen Energiequelle und Elektrolyseur bis zur eigentlichen Wasserstoff-Gewinnung, der Speicherung und der Nutzung von Nebenprodukten wie der Prozessabwärme. In den ersten beiden Jahren habe das vom Fraunhofer IWES betriebene Hydrogen Lab Bremerhaven (HLB) zu unerwarteten Erkenntnissen geführt, bilanzierte HLB-Leiter Kevin Schalk. Eine der großen Herausforderungen steckt offenbar darin, dass Windenergie- oder Photovoltaikanlagen elektrische Energie nicht kontinuierlich, sondern nur in Spitzenzeiten an die Elektrolyseure abgeben. Immer wieder erlebten die IWES-Ingenieure und -Wissenschaftler, dass die Wasserstoff-Erzeuger nach den Unterbrechungen nur langsam, gar nicht oder nur kurzfristig starteten. Dass sich die IWES-Fachleute akribisch mit solchen Phänomenen auseinandersetzen und Lösungen finden, hat sich aber offensichtlich weltweit herumgesprochen: Vor kurzem bekamen sie sogar einen Auftrag und eine zu testende Anlage aus Singapur.

Ein Teil der vom Fraunhofer IWES beobachteten technischen Probleme hat möglicherweise eine Ursache in den bis vor kurzem zu beobachtenden übergroßen Erwartungen an die Produktion von grünem Wasserstoff. Manche der bei den Tests im Hydrogen Lab Bremerhaven beobachteten Fehler und Unregelmäßigkeiten waren wahrscheinlich Folge einer vielleicht zu schnellen oder noch nicht abgeschlossenen Entwicklung. Unter Umständen seien die Probleme auch auf mangelnde Erfahrungen in kleinen und noch jungen Unternehmen zurückzuführen, zeigte sich Sophie Jachens aus dem Business Development Management von thyssenkrupp Automation Engineering überzeugt. Die Bremer Dependance des Technologiekonzerns entwickelt Produktions- und Testlösungen insbesondere für Brennstoffzellen und Elektrolyseure. Häufig sei zu beobachten, dass die Entwickler zwar interessante Anwendungen und Verfahren präsentieren, dabei aber die Erfordernisse aus der Produktion nicht berücksichtigten. Gemeinsam mit den Kunden gehen die thyssenkrupp-Fachleute dann den Weg vom Produkt zurück bis zur Idee, um das Design den Erfordernissen einer effizienten Produktion mit hohen Taktzahlen und einer niedrigen Fehlertoleranz anzupassen.

In Zukunft werden immer mehr Unternehmen selbst Energie erzeugen

Dass sich Bremerhaven in dieser Gemengelage mit einem breiten Spektrum aus Forschungsaktivitäten und unternehmerischem Engagement positioniert hat, ist für Dr. David Wenger genau der richtige Schritt gewesen. Wenger befasst sich bereits seit 2008 mit den Erfordernissen einer Wasserstoff-Infrastruktur. Mit den 45 Beschäftigten seiner Wenger Engineering GmbH hat er mittlerweile unter anderem mehr als 600 Wasserstoffprojekte von H2-Tankstellen bis zu Speicheranlagen entwickelt. Auch das Design des Hydrogen Lab Bremerhaven stammt aus seiner Feder. Die in Bremerhaven inzwischen aufgebaute Kompetenz werde sich bereits in naher Zukunft wieder einer starken Nachfrage erfreuen, machte Wenger den 120 Symposiumsteilnehmern nach den jüngsten scheinbaren Hiobsbotschaften Mut. So hatte der Stahlkonzern ArcelorMittal im Sommer das Aus für seine Pläne verkündet, die Produktion im Stahlwerk Bremen von Erdgas auf grünen Wasserstoff als Energieträger umzustellen. Die Hütte an der Weser galt bis dahin als Nukleus für die ambitionierten Pläne des Bundeslandes für den Übergang zu einer CO2-neutralen Energieversorgung. Aber Wenger betrachtet die Entscheidung der Stahlkocher eher als ein Einzelereignis: „In Zukunft werden immer mehr Unternehmen selbst Energie erzeugen und dann entsprechende Speicher- und Pufferlösungen benötigen, die am besten mit grünem Wasserstoff zu schaffen sind“, sagte er auf dem Symposium: „Das Hydrogen Lab Bremerhaven ist die weltweit einzige Einrichtung, um solche großskaligen Versuche für beliebiges Equipment und für beliebige Kunden durchzuführen.“

Privatwirtschaftliche Initiative zeigt das ökonomische Potenzial von grünem Wasserstoff

Zu den Wasserstoff-Pionieren zählt Andreas Wellbrock, der 2019 die Green Fuels GmbH gründete und mit sieben weiteren Unternehmen als Partner die privatwirtschaftliche Initiative HY.City.Bremerhaven zum Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur startete. Ergebnis dieses Engagements ist nicht nur die erste privatwirtschaftliche Wasserstoff-Produktion mit einem Elektrolyseur im Norden der Stadt, sondern auch die erste öffentliche Wasserstoff-Tankstelle zwischen Bremen und Cuxhaven, die vor dem Vortragsprogramm besichtigt wurde. Neben dem Verkehrsunternehmen BremerhavenBus versorgt diese Tankstelle alle, die H2-betriebene Brennstoffzellenfahrzeuge fahren. HY.City.Bremerhaven kooperiert mit Fahrzeugherstellern bei der Entwicklung wasserstoffbetriebener Nutzfahrzeuge, ist in ein Forschungsprojekt zur Herstellung von grünem Methanol für die maritime Anwendung eingebunden und hat bereits die Stromversorgung einer Großveranstaltung mit einem Generator erprobt, der elektrische Energie mit einer 50-kW-Brennstoffzelle erzeugt. „Das sind alles kleine Schritte“, sagt Wellbrock, „aber sie zeigen, welches Potenzial in einem Ökosystem rund um das Thema Wasserstoff steckt.“

Dass grüner Wasserstoff als Energieträger der Zukunft nach einem anfänglichen Hype in der Bundespolitik und in Großunternehmen derzeit auf deutlich weniger Interesse stößt, entmutigte auf dem Symposium weder Wellbrock noch die anderen Akteure der aktiven Wasserstoff-Szene. „Es ist sogar ganz gut, dass wir jetzt wieder in Ruhe arbeiten können“, ist Wellbrock überzeugt. Bereits zu Beginn des Symposiums hatte Kai Stührenberg, Staatsrat der Senatorin für Wirtschaft, Häfen und Transformation, eine weiterhin starke Unterstützung durch das Land Bremen zugesagt: „Der Hype ist vorbei, jetzt beginnt die eigentliche Arbeit. Und was da auf uns zukommt, ist uns sehr wichtig.“ Bremerhaven wird auch aus Sicht von Wirtschaft und Wissenschaft dabei eine zentrale Rolle spielen: „Bremerhaven ist der Nabel der Wasserstoffwelt“, betonte der Wasserstoff-Pionier Dr. David Wenger.

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