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12.11.2019, Autor: BIS/Gabriele Becker
Lebensmittelforum Bremerhaven zeigt die Vielschichtigkeit der sich rasant entwickelnden FOOD-Branche - Ein Nachbericht

Zum fünften Mal hat am 6. und 7.11.2019 das Lebensmittelforum Bremerhaven stattgefunden. Im Mittelpunkt der Veranstaltung, die den Titel FUTURE OF FOOD trug, standen Trends und Innovationen der Branche. Was werden wir morgen essen? Wie wird die Nahrung unsere Gesundheit beeinflussen? Und welche Chancen bietet die Branche künftig für Industrie, Start-ups und Dienstleister? Hochkarätige Referent*innen spannten in ihren 30-minütigen Impulsreferaten einen weiten Bogen von den Erzeugern bis hin zur Verwertung und begeisterten das überregionale Fachpublikum. Am Ende waren sich die mehr als 130 Teilnehmer*innen einig: FOOD IS THE FUTURE!

Die Teilnehmer*innen nutzen bereits das Opening am Vorabend der Kongressveranstaltung für ein entspanntes Get-together mit den Referent*innen. Im „Speisesaal“ des Deutschen Auswandererhauses bot sich Gelegenheit zum Netzwerken: Brancheninsider und Moderator Fabio Ziemßen freute sich auf die von ihm mitkonzipierte Veranstaltung: „Das Lebensmittelforum bringt alle Teile der Wertschöpfungskette hier in Bremerhaven zusammen. Dafür könnte es kaum einen besseren Standort geben. Der Lebensmittelsektor ist eine Schlüsselindustrie für die Seestadt. Die Branche findet hier durch die Verknüpfung von Industrie, Dienstleistung und Wissenschaft außergewöhnlich gute Bedingungen vor. Das Forum bringt mit den anwesenden Akteuren aus der Start-up-Szene eine enorme Innovationskraft nach Bremerhaven. Gleichzeitig kommen diese sonst in Hamburg, Berlin oder München agierenden Insider mit Industrie und Wissenschaft hier am Standort in Kontakt. Davon können beide Seiten nur profitieren.“ Ziemßen organisiert als Berater der Plattform „Tasty&Tech“ deutschlandweit Treffen für Innovatoren und Start-ups aus dem Lebensmittelumfeld.

Lebensmittelhauptstädte
Der von der Bremerhavener Wirtschaftsförderungsgesellschaft BIS in Kooperation mit dem ttz Bremerhaven, dem Verband der Nahrungs- und Genussmittelwirtschaft Bremen e.V. (NaGeB) und der Handelskammer Bremen – IHK für Bremen und Bremerhaven - organisierte Kongress begann am vergangenen Donnerstag zunächst mit einem Grußwort des Bremerhavener Oberbürgermeisters Melf Grantz. Wie nach ihm auch BIS-Geschäftsführer Nils Schnorrenberger, wies Grantz noch einmal auf die lange Tradition des Fischereihafens als Ausgangspunkt für die beispiellose Entwicklung, die die Lebensmittelindustrie in Bremerhaven genommen hat, hin. Schnorrenberger resümierte: „Heute liegt unsere Kompetenz nicht nur mehr beim Fisch. Längst finden auch andere Rohwaren und temperaturgeführte Güter hier beste Bedingungen vor – sei es für die Produktentwicklung, Analyse, Verarbeitung, Einlagerung oder den Transport. Die Branche ist im Wandel und Bremerhaven geht mit: Zum Beispiel entstehen wieder Manufakturen und es setzen mehr Produzenten auf innovative Produkte ohne Fleisch.“ Die aus dem ganzen Bundesgebiet angereisten Teilnehmer*innen forderte er auf, die sich in Bremerhaven bietenden Chancen mit Unterstützung der Wirtschaftsförderer von der BIS und der Fischereihafenbetriebsgesellschaft FBG zu ergreifen. Der Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Nahrungs- und Genussmittelwirtschaft im Lande Bremen (NAGeB e.V.), Rainer Frerich-Sagurna, machte in seinem Grußwort auf die Rolle der Branche für das gesamte Land Bremen aufmerksam: „Der Lebensmittelsektor ist die stabile Grundlage für 10.000 Arbeitsplätze im Land. Bremen und Bremerhaven sind damit Lebensmittelhauptstädte. Das sollten wir vermehrt nach außen tragen. Deshalb wünsche ich mir mehr Veranstaltungen wie dieses Forum. Sie erhöhen unsere Sichtbarkeit über Ländergrenzen hinweg.“

Künstliche Intelligenz richtig nutzen
Zum Auftakt des Kongresses begeisterte der in Berlin und Kopenhagen ansässige Futorologe Max Thinius. Der Visionär gab Einblicke in die Trends in Sachen Konsumentenverhalten und Ernährung. In seinem Vortrag mit dem Titel „Shift happens“ gab Thinius zunächst Entwarnung: „Heute sind alle fokussiert auf die die Schlagwörter 3-D-Druck, Algorythmus, Insekten und Blockmillen
. Aber wenn Zukunft auf Technik und Insektenessen reduziert wird, wundert es nicht, dass 60 Prozent der Deutschen keinen Bock auf Zukunft haben. Alles, was sich auf dem Nahrungsmittelsektor digitalisieren lässt, wird bis 2025 digitalisiert werden. Aber wir werden Lösungen entwickeln und nicht alles Technische wird sich durchsetzen und unsere Zukunft bestimmen.“

Als Beispiel nannte Thinius die rasante Entstehung von lokalen Craftbier-Brauereien. In urbanen Bereichen erreichen sie bereits einen Marktanteil von 13 Prozent (20% in den USA). Hier ermöglicht die Digitalisierung kleinen Brauereien Chancen in der direkten Vermarktung. Getränkegroßhändler werden zunehmend weniger gebraucht. Gleiche Strukturen sieht Thinius bei Produkten wie Kaffee und Burgern. „Da erleben wir eine Demokratisierung des Lebensmittelhandels. Vor allem die Gruppe der sogenannten Millennials sehnt sich nach Authentizität und Transparenz beim Konsum. Nachhaltigkeit und Regionalität sind ihnen wichtig. Längst hat Food Mode und Lifestyle an der Spitze der rasant wachsenden Branchen abgelöst.“

Der Futorologe ging besonders auf die Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz (KI) im Bereich der personalisierten Ernährung ein. Persönliche Algorythmen und auf den Einzelnen zugeschnittene Produkte werden künftig unser Leben, Wohnen und Essen bestimmen, so der Zukunftsforscher. Wer KI richtig nutze, könne länger gesünder leben. Thinius hat dabei besonders die gesellschaftliche Relevanz im Blick: Ziel müsse es sein, die Möglichkeiten künftiger Entwicklungen möglichst allen Menschen zugänglich zu machen. Die Vertreter der Industrie forderte er auf: „Entwickeln und produzieren Sie Lebensmittel, auf die die Menschen auch Bock haben!“

Erfolgreich reduzieren
Im Anschluss gab Prof. Dr. Frederike Reimold einen Einblick in die Möglichkeiten des lokalen Wissenschaftstransfers. An der Hochschule Bremerhaven hat Reimold einen Lehrstuhl für Lebensmitteltechnologie tierischer Erzeugnisse. Aktuelle Herausforderung für die Industrie sei die von Politik und Konsumenten geforderte Reduktion von Zucker, Kalorien und Fett. Am Beispiel der Entwicklung eines Fettaustauschstoffes für die Wurstherstellung berichtete Reimold über eine erfolgreiche Kooperation zwischen Wissenschaft und Industrie. „In Bremerhaven arbeiten wir als Hochschule mit nahezu allen Unternehmen der Branche zusammen. Für viele Anforderungen, die für die Lebensmittelindustrie eine Hürde in der Umsetzung darstellen, finden wir in der Kooperation gangbare Lösungen. Das Miteinander am Standort Bremerhaven ist sehr eng: Fast 90 Prozent unserer Studierenden gehen für ihre Bachelorarbeiten in ansässige Unternehmen“, so die Professorin.

Sprungbrett für FOOD-Gründer
Von einer besonderen Innovationsplattform für Start-ups in der Lebensmittelbranche berichtete Lukas Neuß von KitchenTown.  Direkt am Alexanderplatz gelegen, bietet KitchenTown mitten in Berlin Gründern ideale Bedingungen für die Entwicklung und Erprobung ihrer Konzepte. „Wir stellen auf 1000 Quadratmetern Industrieküchen und Lebensmittellabore für die Entwicklung von Kleinserien zur Verfügung. Gleichzeitig scouten wir erfolgversprechende Start-ups und machen sie fit, damit sie sich auf dem Markt etablieren können. Dazu gehört auch die Unterstützung bei einem komplexen Thema wie die Deklaration von Inhaltsstoffen.“ KitchenTown kooperiere zudem mit Industrie und Handel, denn immer mehr namhafte Unternehmen der Lebensmittelbranche nutzten das innovative Potenzial, das in Start-ups stecke, so Neuß. Damit senkt das 2014 in den USA gegründete Unternehmen die Markteinzugsbarrieren für Gründer. Ein erfolgreiches Beispiel für die Arbeit von KitchenTown ist unter anderem Foodspring, ein Hersteller von Fitnessprodukten, der soeben vom Riegelhersteller Mars gekauft wurde.

Exquisiter Saftladen
KALE&ME heißt das von Annemarie Heyl gegründete Saftunternehmen. Inzwischen vertreibt die Unternehmerin mit 26 Mitarbeiter*innen 25.000 Einheiten kaltgepresste Obst- und Gemüsesäfte in der Woche – fast ausschließlich im Onlinehandel! Die Säfte werden gekühlt direkt an den Endkunden geschickt. „Wir wollen unsere Geschichte selbst erzählen und uns unabhängig vom stationären Lebensmittelhandel machen“, berichtete Heyl. Die Idee für ihr Start-up kam Heyl auf einer Reise nach Kapstadt im November 2014. Bereits im Mai 2015 war sie mit den ersten Saftkuren am Markt. KALE&ME setzen auf Premium-Qualität, Regionalität und Funktionalität. Auftrieb bekam das Unternehmen sowohl durch einen Auftritt in der TV-Sendung „Höhle des Löwen“ als auch durch ein Joint Venture mit der Erzeugerorganisation Elbe-Obst.

„Für uns war schließlich auch eine eigene Produktionsstätte extrem wichtig. So können wir schnell auf neue Trends reagieren“, erklärte die Unternehmerin im Rahmen des Lebensmittelforums. Sie hob vor allem auf die Bedeutung von zielgerichteter PR ab. „Wir arbeiten mit bekannten Persönlichkeiten, die von der Funktionalität unserer Saftkuren überzeugt sind. Bevor man allerdings auf den Trend Influencer setzt, sollte man unbedingt zunächst deren Informationstiefe prüfen. Am Ende muss aber vor allem das Produkt transparent und überzeugend sein. Wir kennen 60 Prozent unserer Erzeuger persönlich und haben eine gute Geschichte zu erzählen“, begründete Heyl ihren Erfolg.

Original oder Fälschung?
700 000 000 Millionen Euro Schaden entstehen der Lebensmittelindustrie weltweit jährlich durch gefälschte Qualitätsprodukte. Lebensmittel wie Rum oder Reis, aber auch Medikamente werden in großem Umfang kopiert und in den Markt „gespült“. Daniel Kranz, Projektmanager bei IMB iX in Berlin, stellte in Bremerhaven das Programm IBM Watson vor. Applikationen wie der IBM Crypto Anchor Verifier erkennen anhand der Produktstruktur, ob es sich um ein Plagiat handelt oder nicht. Kranz machte am Beispiel von IBM Food Trust deutlich, wie auf Basis einer Blockchain-Technologie die Transparenz und Verantwortlichkeit in der gesamten Lebensmittellieferkette verbessert werden kann. IBM Food Trust ist ein kooperatives Netzwerk von Landwirten, Verarbeitungsunternehmen, Großhändlern, Distributoren, Herstellern und Einzelhändlern. „Die Plattform wird unter anderem von den vier größten Retailern weltweit eingesetzt“, so Kranz. „Unsere Lösung verbindet die Teilnehmer über eine autorisierte, unveränderliche und gemeinsame Dokumentation der Herkunft von Lebensmitteln, Transaktionsdaten, Verarbeitungsdetails und vieles mehr“, erläuterte Kranz.

Fische unter Beobachtung
Dass einmal generierte Datensätze unterschiedlich genutzt und weiterverarbeitet werden können, zeigte im Anschluss Dominik Ewald von MonitorFish aus Berlin. Als Ausgründung des Fraunhofer Institutes für Graphische Datenverarbeitung in Rostock bietet MonitorFish Aquakulturbetreibern Monitoring an. Mit Sensoren versehene Kameras in den Fischbecken liefern rund um die Uhr exakte Daten zu Gesundheit oder Appetit der Tiere. „Die gemessenen Werte sind auch interessant für andere Kunden, zum Beispiel für Futtermittelhersteller. Zudem wird die vom Kunden gefragte Transparenz von der Aufzucht bis zur Verarbeitung durch unsere Technologie garantiert“, erläuterte Ewald den Kongressteilnehmer*innen.

„Enable the farmer!“
Mehr Transparenz und Gerechtigkeit im Lebensmittelhandel sowie ein wertschätzender Umgang mit den Landwirten, das sind die Ziele des Online-Marktplatzes PIELERS. In Bremerhaven stellte Gründerin Dr. Julia Köhn das Konzept vor: „Der Konsument will heute günstige, sichere und leckere Lebensmittel. Aber die Produzenten müssen auch davon leben können“, führte sie aus. „PIELERS bietet hochwertige Lebensmittel: Obst, Gemüse, Fleischwaren, Milchprodukte und vieles mehr direkt vom Erzeuger. All unsere Produkte zeichnen sich durch besten Geschmack, eine unverwechselbare Qualität und eine nachhaltige Produktion aus.“ Grundlage ist eine digitale Infrastruktur, in deren Mitte PIELERS eine Schnittstellenfunktion zwischen Erzeuger und Verbraucher einnimmt. „Der stationäre Einzelhandel ist heute zu teuer und ineffizient“, so Köhn. PIELERS setzt auf sogenanntes Storytelling: Der Konsument erfährt jeweils die Geschichte, die hinter einem Produkt steht.

Personalized Nutrition
Auf den Einzelnen zugeschnittene Ernährung stand im Mittelpunkt der Ausführungen von Simone Frey. Die Gründerin des Start-ups NUTRITION HUB war ebenfalls aus Berlin in die Seestadt gekommen. NUTRITION HUB ist ein Netzwerk, das Start-ups aus dem Bereich personalisierte Ernährung mit Unternehmen, Investoren und anderen Gründern vernetzt. „Jeder Stoffwechsel ist anders. Deshalb brauchen wir diagnostische Lösungen, um jedem Konsumenten das zu bieten, was er braucht, um länger gesund zu leben. Personalisierte Ernährung wird kommen und sie wird zu ganz individuellen Wertschöpfungsketten führen“, prophezeite Frey. Für die Unternehmen stelle sich vor allem die Frage, mit wem sie sich zusammentun, um von diesem Trend profitieren.

Zu gut für die Tonne
Zum Abschluss des Tages stellte Laure Berment die Plattform Togoodtogo vor. Das erfolgreiche Start-up ist mittlerweile der größte B2C-Marktplatz im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung. 16 Millionen Nutzer*innen und 30 000 Partnerbetriebe in 13 Ländern sind inzwischen auf Togoodtogo registriert. Jedes Jahr werden allein in Deutschland 18 Millionen Tonnen Lebensmittel vernichtet, berichtete Laure Berment. Davon seien allein 10 Millionen Tonnen vermeidbar. Das entspricht etwa einer landwirtschaftlichen Fläche des Saarlandes, auf der ausschließlich Nahrungsmittel angebaut würden, die anschließend in der Tonne landen! 235 € pro Person werfen die deutschen Konsumenten damit jährlich in den Müll. „Wir verbinden Restaurants und Supermärkte mit den Verbrauchern. Die App zeigt an, wo ich mir in meinem Umfeld leckere Speisen abholen kann, die sonst vernichtet würden. Ich bezahle im Voraus direkt in der App. Dann kann ich meine Tüte – häufig mit leckeren Überraschungen – direkt abholen“, erläuterte Berment. Das Konzept kommt so gut an, dass die Gründer nun eine neue Kampagne zum Mindesthaltbarkeitsdatum angestoßen haben.

Resümee
„Die Zeit der großen Generalisten ist vorbei, das wurde heute überdeutlich“, resümierte Moderator Fabio Ziemßen am Ende des Kongresstages. „Es freut mich, dass wir den Fachbesuchern und Fachbesucherinnen – vom Erzeuger bis zum Vertriebsprofi – die Vielschichtigkeit der Entwicklungen in dieser einmaligen Branche präsentieren konnten. Der Bedarf an neuen Lösungen ist da. Wir sind hier an einem der spannendsten Standorte der Lebensmittelindustrie – also machen Sie das Beste daraus. Für Bremerhaven sehe ich übrigens auch ein großes Potenzial in der Entwicklung von Fischersatzprodukten, die immer stärker nachgefragt werden.“

Wie bereits im vergangenen Jahr präsentierten sich am Rande des Lebensmittelforums Start-ups und Institutionen aus der Region. Unter ihnen waren der Technologiedienstleister ttz Bremerhaven, die Hochschule Bremerhaven sowie der Verband der Nahrungs- und Genussmittelwirtschaft im Lande Bremen (NAGeB e.V.).

Hintergrund
In Bremerhaven, dem größten Fischverarbeitungsstandort Deutschlands, werden jährlich 200.000 Tonnen Fisch verarbeitet. International tätige Unternehmen wie Frosta, Nordsee, Iglo, Deutsche See, Transgourmet und Frozen Fish International haben hier ihren Sitz. Zudem sind zahlreiche erfolgreiche mittelständische Unternehmen der Lebensmittelbranche in der größten Stadt an der deutschen Nordseeküste zuhause. Die Stadt bietet eine exzellente Infrastruktur für die Bereiche Forschung, Entwicklung und Lebensmittelanalyse.

Die Veranstaltung Lebensmittelforum Bremerhaven wurde durch Europäischen Meeres- und Fischereifonds kofinanziert.

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