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„Mythos Konsument“ - Lebensmittelforum Bremerhaven zeigt neues Denken und Handeln der Branche

25.10.2018, Autor: BIS Bremehaven
Bereits zum vierten Mal fand am 23. und 24.10.2018 das Lebensmittelforum Bremerhaven statt. Schwerpunkt der mit hochkarätigen Referenten besetzten Veranstaltung war in diesem Jahr das sich verändernde Konsumentenverhalten mit seinen Auswirkungen auf die Ernährungswirtschaft.
Einblicke in Theorie und Praxis, neue Ernährungstrends, lokale Start-ups und traditionelle Unternehmen, die sich vor dem Hintergrund neuer Kundenbedürfnisse wandeln: Beim vierten Lebensmittelforum im Bremerhavener „Fischbahnhof im Fischereihafen“ stand für die interessierten Fachbesucher ein breites Spektrum mit wertvollem Input auf dem Programm.

Lebensmittelwirtschaft im Umbruch

Dabei hatten auch so provokante Thesen ihren Platz wie die des Foodaktivisten Hendrik Haase. Der Betreiber der Kreuzberger In-Fleischerei „Kumpel und Keule“ sieht die Lebensmittelwirtschaft derzeit unter dem Einfluss einer neuen Generation von Essern und Genießern. „Die Branche hat einen ihrer größten Transformationsprozesse vor sich! Food ist der neue Pop und wird zum Lifestyle. Befragungen haben ergeben, dass 52% lieber an einem Food-Festival als an einem Musikfestival teilnehmen. 61% der Befragten geben ihr Geld lieber im Restaurant als für Schuhe aus. Und es gibt eine Sehnsucht nach dem Authentischen.“ Bereits vor zehn Jahren hatte Haase mit Aktionen vor Starbucks-Filialen gegen die Systemgastronomie protestiert. In seiner Berliner Fleischerei mit angeschlossenem Restaurant beschäftigt der Kommunikationsdesigner inzwischen 30 Mitarbeiter*innen. Eine Filialisierung schließt er aus. Die Grenzen des Wachstums seien für ihn persönlich erreicht.

Marken zur Identitätsbildung

Zum Auftakt des Kongresstages gab Jens Lönneker, Geschäftsführer der Medienforschungsagentur Rheingold Solutions, Einblicke in eine Studie zum Thema „Das deutsche Abendbrot. Ein verkannter Schatz“. Der im Auftrag des Wurstproduzenten Frank Wiltmann GmbH erstellten Studie liegt ein tiefenpsychologischer Ansatz zugrunde. Die Ergebnisse zeigen, so Lönneker, dass das Ritual Abendbrot, bei dem neben Käse und neuen vegetarischen Produkten vor allem Wurstwaren konsumiert werden, durchweg positiv besetzt ist. Die in der christlichen Tradition verwurzelte Mahlzeit stehe in Deutschland für häusliche Gemeinschaft, Privatheit, Sicherheit und Schutz, so der Diplom-Psychologe. „Wir wollten dem Lebensmittelhandel zeigen, dass es sich lohnt, weiterhin auf die margenstarke Warengruppe Wurstwaren zu setzen. Dafür bekommt der Handel Unterstützung vom Produzenten in Form von Kommunikationsleistungen. Das Abendbrot bietet sich für das sogenannte Storytelling geradezu perfekt an“, referierte Lönneker in Bremerhaven.

Im Hinblick auf den Konsumenten macht der Kölner Berater verschiedene Trends aus: Zum einen verschwinden die klassischen Zielgruppen zugunsten von Einkaufsverfassungen. Man ist heute in der Stimmung, ein bestimmtes Produkt zu konsumieren. Eine Überforderung sieht Lönneker in einer zu großen Produktauswahl. Hier böten Discounter dem Kunden konsequentere Führung als EDEKA, REWE und Co.. Die Digitalisierung ermögliche zudem das Abbilden von Konsum-Mustern in Algorithmen. Marken tragen durch Social Media verstärkt zur Identitätsbildung bei, so der Psychologe. Das werde sich verstärken. Lönnekers These:„Das Warenangebot kann künftig noch schneller und direkter unseren Narzissmus bedienen“.

Digitaler Wandel

Von einer beeindruckenden Transformation berichtete Mirko Oeltermann: Der Geschäftsführende Vorstand des Bäckereizulieferers BÄKO Bremerhaven eG machte deutlich, wie konsequent sich die Genossenschaft in den vergangenen Jahren an den Bedürfnissen ihrer Kunden ausgerichtet hat. Sie wandelte sich vom Bäckereizulieferer zum Food-Kompetenzzentrum. „Im Gegensatz zum Großhandel, der vor allem mit margenträchtigen Artikeln in den Handel drängt, entwickeln wir Prozesse und Produkte gemeinsam mit dem Kunden. Inzwischen bieten wir einen Rundum-Service für rund 1200 Bäckereien und Einzelhändler in Norddeutschland.“ Seit 2012 gehört auch die Software-Lösung „Back-Büro“ in das BÄKO-Dienstleistungsportfolio. Das Instrument liefert unter anderem gesetzlich vorgeschriebene Lebensmittelinformationen. Gefragt nach den Trends der kommenden Jahre, nennt Oeltermann allen voran die zunehmende Kundenorientierung von Bäckereien, die allerdings noch viel Potenzial biete, sowie die wachsende Handelsgastronomie.

Unabhängig von Markenproduzenten

Auf ein verstärktes gastronomisches Angebot setzt auch Jens Knauer, Inhaber des EDEKA Marktes Roter Sand, in Bremerhaven. Knauer ist einer von über 4.000 selbstständigen Kaufleuten unter dem Dach der EDEKA. Der Konzern baut seine Multi-Channel-Strategie konsequent weiter aus, d.h. es werden vom Brot bis zum Mineralwasser zunehmend Produkte aus eigener Herstellung angeboten. Damit mache sich der Lebensmittelriese in Preis und Qualität unabhängig von Markenproduzenten, so Knauer.
Das E-Center Jens Knauer e.K wird von ihm seit 2012 selbständig betrieben. Es hat 24 Stunden täglich geöffnet von Montags 6:00 Uhr bis Sa. 24:00 und verfügt über 3.000 m² Verkaufsfläche. Jens Knauer beschäftigt rund 170 Mitarbeiter*innen in seinem E-Center.

Am Roten Sand in Bremerhaven setzt Jens Knauer auf drei Schwerpunkte: eCommerce, Gastronomie in der sogenannten Vorkassenzone und Regionalität. Stärker als das Bio-Segment wachse derzeit die Nachfrage nach Produkten aus der Region. Hier bietet sich für den Einzelhändler die Möglichkeit, namhafte Produzenten aus der Seestadt ebenso ins Programm zu nehmen wie Start-ups. Auch Online-Bestellungen sind weiter auf dem Vormarsch: Etwa 400 Kunden im Raum Bremerhaven beliefert Knauer mit drei Fahrzeugen und 10 Mitarbeiter*innen bereits regelmäßig. „Das nimmt zu, aber bislang verdienen damit nur Nischenanbieter wirklich Geld“, so der Kaufmann in seinem Vortrag.

Steak im Paket

Wie eCommerce erfolgreich funktionieren kann, erläuterte Wolfgang Otto, Geschäftsführer der Gebrüder Otto Gourmet GmbH. Der Fleischversender hat über 600 Produkte in seinem Online-Shop. „Genuss und Ernährung stehen bei uns im Fokus, deshalb liefern wir ausschließlich Fleisch aus artgerechter Tierhaltung in erstklassiger Qualität“, erläuterte Otto. Er steht mit etwa 20 Rinderzüchtern weltweit regelmäßig im Kontakt. Inzwischen beliefert Otto Gourmet etwa 70.000 Privatkunden und 1.000 gastronomische Betriebe. Zielgruppe: Männer zwischen 35 und 60 Jahren mit überdurchschnittlichem Einkommen. Auf dem Lebensmittelforum erläuterte Otto die Multi-Channel-Strategie des Versenders: Neben dem Online-Shop gehört auch ein stationäres Konzept dazu. Hier baut das Unternehmen, das 120 Mitarbeiter*innen hat, auf Shop-in-Shop-Systeme sowie das Konzept einer Fleischerlebniswelt unter dem Label MännerMetzger. Dritte Säule sind Events – von Messen bis hin zu Küchenpartys und Schlachtfesten. „Wir wollen weg vom klassischen Händler hin zum Lifestyle-Unternehmen“, so Otto in Bremerhaven.

Der besondere Snack

Den besonderen Ernährungstrend, Proteine aus Insekten zu gewinnen, stellte Folke Dammann, Gründer und Inhaber von Snack-Insects, dem Fachpublikum vor. „Nicht nur aus ökologischer Sicht, auch geschmacklich überzeugen Insekten als vielseitige Kochzutat“, so Dammann. Der Gründer und Kochbuchautor sieht in Insekten das nachhaltigste Nahrungsmittel der Zukunft.

Neues Siegel für die Glaubwürdigkeit

Vertrauen und Nachhaltigkeit standen im Mittelpunkt des Vortrages von Ralf Forner, Geschäftsleiter der Transgourmet Seafood aus Bremerhaven. Das Unternehmen ist Teil der Coop Schweiz, dem laut Forner nachhaltigsten Vertreter der Lebensmittelbranche. Der Konzern hat sich zum Ziel gesetzt, verlorengegangenes Vertrauen der Verbraucher wieder herzustellen. Hierfür wurde unter dem Markennamen „Ursprung“ ein neues Siegel entwickelt. Forner sieht seine Branche im Spagat zwischen Forschung und Entwicklung zum Zweck der Ertragsmaximierung und der Sehnsucht des Konsumenten nach Klarheit und Ursprünglichkeit. Lebensmittel, die das Label „Ursprung“ erhalten, haben bereits zwei Filter durchlaufen: Zum einen müssen Futterqualität und Haltungsbedingungen stimmen. Zum anderen muss die Philosophie des Züchters dem Konzept entsprechen. Alle Waren vom Fisch bis zum Hühnchen der Marke „Ursprung“ seien absolut transparent und hundertprozentig nachhaltig erzeugt. „Wir lassen unsere Produkte zudem von ‚grünen Köpfen’ aus der Food-Szene testen“, so Forner. Transgourmet beliefert Gastronomiekunden in ganz Europa. Die Marke „Ursprung“ wird intensiv durch Storytelling flankiert.

Auf Erfolgskurs

Um Transparenz ging es auch den lokalen Start-ups, die sich auf dem Lebensmittelforum präsentierten:
Hans-Henning Möller vom Proteinshake-Hersteller Harvest Republik GmbH produziert etwa 16.000 Shakes im Monat. Das junge Unternehmen aus der Seestadt hat derzeit sieben Mitarbeiter*innen und ist auf Wachstumskurs.
Mit dabei waren außerdem die KaffeeWerkstatt Bohnengold, Brownies & Cookies aus Bremerhaven, der Online-Supermarkt Pielers GmbH aus Geestland und aus Bremen Mexcian Tears, Enso eCommerce GmbH, wunderfood GmbH und die handmade2go GmbH & Co. KG. Zudem informierten der Technologiedienstleister ttz Bremerhaven und die Hochschule Bremerhaven über ihr Angebot für die Lebensmittelwirtschaft.

Masterstudiengang in Sicht

Zu Beginn des Kongresstages begrüßten der Geschäftsführer der BIS Nils Schnorrenberger sowie der Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen des Landes Bremen, Martin Günthner, die über 100 Fachbesucher. Sie lobten das  gewachsene Renommee der Dialog-Veranstaltung und wiesen gleichzeitig noch einmal auf die große Bedeutung des Standorts für die Lebensmittelindustrie hin. Schnorrenberger formulierte die Hoffnung, dass es künftig einen Masterstudiengang Lebensmitteltechnik an der Hochschule Bremerhaven geben werde. Dies hielte junge Absolventen in der Stadt und sichere den Bedarf an Fachkräften, den die Branche vor Ort habe. Rainer Frerich-Sagurma, der Vorstandsvorsitzende Verbands der Nahrungs- und Genussmittelwirtschaft im Lande Bremen (NaGeB e.V.), verwies gleichermaßen auf die hohe Bedeutung der Bildung und auf die besonderen Vorteile Bremerhavens. Hier sei es möglich, im engen Schulterschluss mit der Wirtschaft zu studieren. Das bringe der Stadt im intensiven Wettbewerb deutliche Vorteile.

Bremerhaven – Zentrum der deutschen Fischverarbeitung

In Bremerhaven, dem größten Fischverarbeitungsstandort Deutschlands, werden jährlich 200.000 Tonnen Fisch verarbeitet. International tätige Unternehmen wie Frosta, Nordsee, Iglo, Deutsche See, Transgourmet und Frozen Fish International haben hier ihren Sitz. Zudem sind zahlreiche erfolgreiche mittelständische Unternehmen der Lebensmittelbranche hier zuhause. Die Stadt bietet eine exzellente Infrastruktur für die Bereiche Forschung, Entwicklung und Lebensmittelanalyse.

Die Veranstaltung Lebensmittelforum Bremerhaven wird durch den Europäischen Meeres- und Fischereifonds koofinanziert.
 
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